Die Vegetation in den gemäßigten Breiten folgt dem Wechsel der Jahreszeiten: Nach einer Winterpause treiben die Pflanzen im Frühjahr erneut aus. Eine Forschungsarbeit hat jetzt einen neuen Zusammenhang ans Licht gebracht: Je kälter der Winter, umso früher fangen heimische Pflanzen wieder an zu wachsen. Da mit dem Klimawandel mildere Winter zu erwarten sind, könnte die Wachstumsphase für typische Waldbäume immer später beginnen – zum Vorteil für Sträucher und zugewanderte, weniger kälteabhängige Bäume.
In einer Studie untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) 36 Baum- und Straucharten. Ihre Arbeit lieferte ein überraschendes Ergebnis, wie Julia Laube vom Fachbereich Ökoklimatologie erklärt: „Anders als bisher angenommen, spielt die zunehmende Tageslänge im Frühjahr für den Zeitpunkt des Knospens keine große Rolle: Damit die Pflanzen im Frühjahr rechtzeitig aufwachen, ist ein ausgedehnter ‚Kälteschlaf’ im Winter wichtig.“
Dies betrifft vor allem einheimische Baumarten wie zum Beispiel Buchen oder Eichen. Denn mit der Kälteruhe schützen sie sich vor dem Erfrieren. Anders verhalten sich die Pionierarten, also Sträucher wie die Haselnuss und Erstbesiedler wie die Birke – und Arten, die aus wärmeren Klimazonen eingewandert sind wie die Robinie oder die Walnuss: „Diese Bäume riskieren im Frühjahr einen früheren Start, weil sie weniger stark auf die Kälteperiode angewiesen sind und zudem bei steigenden Temperaturen schneller austreiben“, so Laube.
Die Folgen für das Ökosystem der Wälder bleiben nicht aus: Nach milden Wintern steigt für die heimischen Arten das Risiko, ihre Blätter zu spät auszubilden. Damit gelangt auch mehr Tageslicht auf den Waldboden, was niederwachsende Strauch- und invasive Baumarten begünstigt. Sie treiben früher aus – zum Nachteil für heimische Arten: Jungen, noch niedrigen Bäumen fehlt dann das Licht zum Wachsen.“
„Grüne Weihnachten unter frisch austreibenden Bäumen wird es auch unter wärmeren Bedingungen nicht geben“, sagt Prof. Annette Menzel, Wissenschaftlerin am TUM Institute for Advanced Study und Leiterin des Fachgebiets Ökoklimatologie. „Allerdings werden sich die unterschiedlichen Wachstumsmuster auf die gesamte Tier- und Pflanzenwelt auswirken; gerade die heimischen Baumarten in unseren Forsten können sich dem Klimawandel nur begrenzt anpassen.“
Für ihre Versuche verwendeten die Forscher etwa 30 Zentimeter lange Zweige 36 verschiedener Bäume und Sträucher, die sie Klimakammern unterschiedlichen Wärme- und Lichtbedingungen aussetzten. Die Klimakammer-Experimente dauerten jeweils sechs Wochen. Die Zweige stammen aus dem nahe Freising gelegenem „Weltwald“, in dem die Bayerischen Staatsforsten Baumbestände unterschiedlicher Klimaregionen angepflanzt haben.
Am stärksten wirkte sich der Kälte-Effekt bei der Buche, der Hainbuche und dem nordamerikanischen Zuckerahorn aus: Sie trieben bei verkürzten Kälteperioden wesentlich später aus. Dagegen erwiesen sich der Flieder, der Haselstrauch und die Birke als weniger kälteabhängig.
„Insgesamt ergibt sich jedoch ein chaotisches Bild: Durch wärmere Winter kann die übliche Reihenfolge der Laubentfaltung völlig durcheinander geraten“, erläutert Menzel. „Viele der heute in Mitteleuropa ansässigen Kulturarten stammen ursprünglich aus wärmeren Klimazonen. Sie könnten mangels ausreichendem Erfrierungsschutz Opfer ihrer zu flexiblen Anpassung werden – und bei Spätfrost im Frühjahr erfrieren.“
Diese Forschungsarbeit wurde vom European Research Council im Rahmen des Siebten Rahmenprogramms der Europäischen Union (FP7/2007-2013) und vom TUM Institute for Advanced Study gefördert.
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