Sechs Jahrzehnte Möbelgeschichte



Die Älteren erinnern sich genau: Nachdem 1949 die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde, fiel den Deutschen mehr als „ein Stein vom Herzen“. Endlich konnte wieder Normalität einkehren, endlich gab es neue politische Rahmenbedingungen, die wieder Hoffnung weckten. Mit dem dann folgenden Wirtschaftswunder und seinem Tenor „Wohlstand für Alle“, rückte der Bedarf nach Konsumgütern und damit auch der nach modernen Möbeln ins Blickfeld der Bevölkerung.

Die wieder verdiente und solide Deutsche Mark öffnete schnell die Türen zum Möbelhaus. Dirk-Uwe Klaas, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Deutschen Möbelindustrie, zeichnet sechs Jahrzehnte deutscher Möbelgeschichte nach:

Das Möbeldesign der 1950er Jahre war durch „Styling“ geprägt. Die Aufbruchgesellschaft wollte sich bewusst von den kargen Zeiten des Krieges abgrenzen und wieder Optimismus in die eigenen vier Wände bringen. Berühmte Möbel aus dieser Zeit sind der Nierentisch und wegen der relativen Raumknappheit das Klappbett an der Wand. Die Blumenbank wird zum Verkaufsschlager, denn das zarte Usambaraveilchen braucht seinen Platz. Die allgemeine Wohnungseinrichtung war einfach und klar strukturiert.

In den folgenden 1960er Jahren schaute die Gesellschaft inmitten des Wirtschaftswunders beim Wohnen und beim Möbel nach dem Gebrauchswert und seiner Funktion. Wohnungen sind schlicht elegant und die meisten Möbel haben eine klare Formensprache. Typisch ist das klare, eher eckige Sofa mit einfachen Armlehnen und dunklem Stoff. Beistelltischchen und Polstermöbelfüßchen sind filigran. Das inzwischen für immer mehr Menschen erschwinglicher werdende Fernsehen und der Plattenspieler werden im Wohnzimmer integriert. Berühmte Entwürfe aus den 1960er Jahren entstehen zum Ende des Jahrzehnts: der Sitzsack, der Kugelsessel, der aufblasbare Sessel. Leichtigkeit prägt das Jahrzehnt.

In den 1970er Jahren steht in der Alltagskultur des Wohnens ganz klar die Ästhetik im Vordergrund. Frei dem Motto „Wir haben`s und wir zeigen`s auch“, treten in der wirtschaftlich reichen Gesellschaft Möbelfunktionen in den Hintergrund. Die Menschen beginnen damit, ihre Wohnungen zu verzieren. Möbel werden Dekorationsgegenstände und nicht bloß ihrer Funktion nach eingesetzt. Außerdem werden die Möbel bunter. Streifen und später auch florale Muster kommen gut an. Typisch für die Zeit sind farbige Küchenfronten: Türkis, Gelb oder Orange auch gern in Verbindung mit Braun sind die Renner. Der Flokati-Teppich kommt und die Tapeten bekommen große grafische Muster. Für unzählige Deutsche sind Italien und Spanien in den 1970er Jahren Hauptreiseländer. Daher kommen Urlaubsmitbringsel bei den Wohnaccessoires neu hinzu. Ob nun die Gondel aus Venedig oder die Flamencotänzerin … das Wohnen wird bunter.

Das neue Dezennium, die 1980er, ist in gediegener Zeit das Jahrzehnt der sogenannten Überflussgesellschaft. Die persönliche Bedeutung eines Gegenstandes wird wichtig. Wohnungen sind zum Präsentieren da. Alles Interieur – übrigens auch die Mode – soll vor allem nach etwas aussehen. Der Landhausstil entwickelt sich, in dem bis heute romantische Elemente eine Rolle spielen. Hat man genug Möbel, werden die Wohnungen zusätzlich mit üppigen Pflanzen geschmückt. Der Memphis-Stil wird erfunden. Er hat neue, kantige Formen mit bis dahin unüblichen Details und Oberflächenmustern. Hier geht es um Angeben und Prahlen. Es entwickeln sich aber auch in großem Maße alternative Wohnformen wie WGs, in denen Stilmix bewusst betrieben wird.

Auch für die 1990er Jahre wird das Angebot von Möbeln noch einmal dem Zeitgeist angepasst. Die Überdrussgesellschaft hat eine Wohlfühlkrise. Sie sucht nach Neuem, sie sucht nach Erlebnisdesign. Die Formensprache wird wieder einfacher und gern mit exotischen Accessoires kombiniert. Die Menschen reisen viel und holen sich daher „Wohnen wie im Urlaub“ in die eigenen vier Wände. Die Küche gewinnt an Bedeutung. Vorbei sind die Zeiten, als Mutti alleine kochte. Auch Vati greift zur Pfanne und Gäste werden mit in den Kochprozess einbezogen. Der Küchenblock wird erfunden, der von allen Seiten zugänglich ist. Erstmals entdecken Designer das Badezimmer. Badewanne, Waschbecken und Dusche bekommen neue Dimensionen. Der Kunststoff als Material für Möbel kommt auf. Berühmt ist hier etwa das Rollschränkchen mit Schubladen aus transzendentem Kunststoff.

Im noch laufenden Jahrzehnt der 2000er Jahre tritt Qualität in den Vordergrund. Durch einen individuellen Anspruch an Möbel gibt es eine nie zuvor dagewesene Variantenvielfalt. Jeder kann sich seinen Bezugsstoff und seine Füßchen etwa für das neue Polstermöbel selbst aussuchen. Östliche Stilelemente im Dialog mit westlichen gewinnen enorm an Bedeutung. Hier sind Wohnthemen wie Asien, Orient und nun auch zunehmend Indien gemeint. Die Verschmelzung der Wohnbereiche Kochen – Essen – Wohnen ist in vollem Gang, die Verschmelzung der Bereiche Schlaf- und Badezimmer beginnt. Entertainment zu Hause wird durch den großformatigen Flachbildschirm zunehmend wichtig. Eine Folge ist die Ablösung der guten alten Schrankwand durch eine flache und flexible Wohnwand. Gartenmöbel erleben einen gewaltigen Aufwärtstrend, denn die Menschen haben Balkon und Terrasse als Wohlfühlraum entdeckt. Ein schönes Zuhause ist den Menschen wichtig und wird auch in Zukunft den Menschen wichtig bleiben.

Die Deutschen erkennen immer mehr, dass ihr eigenes Zuhause nicht nur eine funktionale Herberge ist, sondern eine privater und gleichzeitig repräsentativer Raum. Im Zuhause haben die Menschen Gestaltungsmöglichkeit und schaffen sich Identität. Hier zählt nur das, was zu einem selbst gehört und was wirklich wichtig ist. Für dieses „Homing“ brauchen wir vor allem gute Möbel, die mit gutem Design und guter Qualität überzeugen. Als Teil deutscher Alltagskultur gratuliert die deutsche Möbelindustrie Deutschlands 60stem Geburtstag und freut sich auf die zukünftigen Entwicklungen.

Autor:
Holzi am 11. Mai 2009 um 04:58 Uhr
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