Hektisch wedelt der Kranführer mit den Armen. Er steigt aus seiner Kabine aus und eilt auf drei Männer in Anzügen zu. Er deutet auf den Trageriemen des Lastkrans und die Distanz zwischen dem Tieflader und dem Schiff. Nur auf einer Seite leicht angehoben, ruht eine Holzkiste mit außergewöhnlicher Abmessung auf der LKW-Ladefläche. Die Kiste ist schwerer als erwartet. Die Gefahr, dass der Kran umkippt, zu groß. Das Gesamtpaket wiegt 31 Tonnen. Ein neuer Kran muss her, ein größerer, damit die schwere Ladung auch sicher auf das Binnenschiff verladen werden kann. Die Verladung verzögert sich.
8,50 Meter lang, 4 Meter 70 hoch und 4 Meter 50 breit, 31.000 Kilogramm schwer – das sind die beeindruckenden Maße der Riesenholzkiste, die auf dem Betriebsgelände der Firma Contipack Industrieverpackungen in Flörsheim in der Nähe vom Frankfurter Flughafen auf ihre Verladung wartet. Drei weitere davon sowie drei etwa halb so große, kleinere Kisten stehen in der unweit gelegenen Lagerhalle. Letztere wiegen vergleichbar schlanke sieben bis acht Tonnen. Die wirken neben den Riesenkisten wie kleine Geschwister. Doch auch sie sind groß genug, um als Schwertransport zu gelten und nicht über Straße oder Schiene transportiert werden zu können.
Direkt am Mainufer wartet ein Binnenschiff geduldig auf die wertvolle Ware. Vom Bug des Schiffes schimmert der Name „Indian“ – und der ist Programm. Denn die wertvolle Fracht wird in das ferne Kalinganar in Indien verschifft. Dort wird eine Anlage zur Aufbereitung von Eisenerz gebaut. Obwohl das Gesamtvolumen dieser Fracht 826 Kubikmeter und das Bruttogewicht knapp 146 Tonnen beträgt, ist die heutige Ladung nur ein kleiner Teil der Aufbereitungsanlage. Die überdimensionalen Siebe der so genannten Sinteranlage stammen von einem Anlagenhersteller aus Darmstadt. Sie dienen dazu, aus einer Erzlagerstätte feines Eisenerz zu gewinnen, welches in hochwertigen Stahl und Eisen umgewandelt wird.
„So etwas darf nicht passieren, aber es kann passieren“, zeigt sich Rainer Fritze, Geschäftsführer des Industrieverpackungsspezialisten Contipack, über die entstandene Verzögerung leicht verärgert. Die Waage auf dem Betriebsgelände kann Gewichte bis zu 40 Tonnen mit großer Genauigkeit wiegen – normalerweise. Der neue Lastkran muss mindestens ein 300 Tonner sein. Denn er muss die Kiste nicht nur anheben sondern auch gut 15 Meter vom Tieflader über die Wasserkante auf das Binnenschiff hieven. „Das kostet uns mindestens zwei Stunden. Es ist ärgerlich, aber nicht so schlimm. Wir planen bei solchen Transporten immer ein zusätzliches Zeitfenster ein. Die Kisten müssen spätestens in zwei Wochen in Hamburg sein“, gibt sich Rainer Fritze trotz aller Anspannung gelassen. Warten ist angesagt. Lediglich die kleineren Kisten mit knapp 7,5 Tonnen Gewicht können in der Zwischenzeit separat vorgefahren und auf das Schiff transportiert werden. Über 10 Meter lange Spanngurte wird die Kiste vom Kran angehoben, stabil gehalten und vorsichtig auf das Schiff geschwenkt.
Für Fritze ist trotz der unerwarteten Zeitverzögerung ein solcher Extremtransport nichts Neues: „Wir können nahezu jeden Gegenstand sicher verpacken. Aber eine Größe wie diese Schwergutkisten kriegen auch wir nicht alle Tage zu Gesicht.“ Der große Vorteil des Unternehmens, Teil der Firmengruppe Clemens Fritze mit Sitz in Berlin, ist der direkte Wasseranschluss am Main. „Auf diese Weise können wir die Straßen und damit die Umwelt entlasten. Ich finde, die LKW-Kolonnen auf den Autobahnen nehmen zu große Ausmaße an und müssen wirklich nicht sein", so Fritze. In Deutschland können sich Unternehmen, die Schwertransporte auf der Straße durchführen, beim zuständigen Ordnungsamt jeweils für ein Jahr eine Dauergenehmigung einholen. Hiermit können landesweit Transporte mit bis zu einer Länge von 23,30 Meter, einer Breite bis zu 3 Meter, eine Höhe von 4 Meter und einem Gewicht von 41,8 Tonnen befördert werden. Für die Fracht von Flörsheim nach Indien sind selbst diese Riesen-Abmessungen jedoch zu klein. Diese Anforderungen kann das am Ufer liegende Binnenschiff dagegen locker erfüllen. Zwar benötige der Transport per Schiff mehr Zeit, „dennoch ist es für uns die sauberste Lösung“, so Fritze.
Auf dem insgesamt 80.000 Quadratmeter großen Betriebsgelände stehen immer wieder Holzstapel, die größeren Maulwurfshügeln ähneln. Mal sind es Paletten, mal Holzbalken. Oder eben Holzkisten in Größenordnungen vom Fernseher bis hin zum Einfamilienhaus. In einer nahegelegenen Lagerhalle stehen die anderen Riesenholzkisten in der Warteschlange. Über einer von ihnen schwebt die Haltevorrichtung des Hallenkrans. Bis zu 32 Tonnen kann ein solcher Kran anheben. An einem Ende der Halle verpacken zwei Männer in grünen Arbeitsoveralls zwei Maschinenteile für ein anderes Projekt. Nachdem die Teile in die bereitstehende Kiste gehievt wurden, werden sie dort luftdicht verpackt. Diese wird vom Prinzip her ähnlich hergestellt wie die sieben Riesenholzkisten für Indien. Nur eben sind die einige Kategorien größer. Ausgangsmaterial sind in der Regel Sperrholzplatten aus Nadelhölzern mit 1 Meter 22 Breite und 2 Meter 44 Höhe. Die Platten werden mit dem Holzboden über Bolzen verschraubt und miteinander genagelt. Die zu verpackenden Teile sind für den Transport in einer Aluminiumfolie luftdicht verpackt und stoß- und rutschfest in der Holzkiste gesichert. Die Fertigung einer Schwergutkiste wie die für die Teile der Sinteranlage nimmt zirka zwei Tage in Anspruch. Insgesamt stehen über 25.000 Quadratmeter Hallenfläche zur Verfügung. Kein Wunder, bei Frachten in einer solchen Größenordnung.
Mit der Binnenschiffverladung und dem beschriebenen, sicheren Verpacken von Objekten mit Übermaßen steht die Firma beispielhaft für das Leistungsspektrum der deutschen Holzpackmittelindustrie. Sie ist eines von rund 350 Mitgliedsunternehmen des Bundesverbandes Holzpackmittel, Paletten, Exportverpackungen (HPE), der Anbieter von Paletten und Packmitteln aus Holz sowie Dienstleister in den Bereichen Verpacken, Containerstau und Logistik vereint. Im Jahr 2008 betrug der gesamte Produktionswert an Holzpackmitteln und Paletten knapp 1.1 Milliarden Euro.
Am Mainufer musste unterdessen der kleinere Kran einem größeren weichen. Nun können die vier Riesenholzkisten ihren drei kleineren Geschwistern in den Laderaum des Binnenschiffes folgen. Etwa eine Stunde nachdem die letzte der sieben Riesenholzkisten verladen wurde, holt die „Indian“ den Anker ein und setzt sich rheinabwärts in Bewegung. Sie wird zunächst etwa eine Woche über den Main, den Rhein quer durch die Kanäle im Ruhrgebiet bis in den Hamburger Hafen fahren. Dort wird die schwere Fracht auf ein großes Containerschiff verladen. Weitere vier Wochen wird die Reise auf hoher See in Anspruch nehmen, ehe die Kisten ihren Zielhafen in Indien erreichen. Dann beginnt der letzte Teil der Etappe, eine Woche durchs indische Festland bis zur Zielflagge nach Kalinganar. Vor Ort werden die Siebe dann in die Sinteranlage eingebaut. Hiervon bekommt Rainer Fritze am anderen Ende der Welt in Flörsheim am Main allerdings nichts mehr mit. Seine Aufgabe ist erfüllt, wenn die Ware sicher und intakt am vereinbarten Zielort angekommen ist.
Comments
Ich bin sehr oft im Hamburger Hafen, aber solche Holzcontainer habe ich noch nie gesehen. Da werde ich definitiv mal Ausschau nach halten, denn das wäre ja sicherlich mal eine ganz interessante Abwechslung. Gerade auch als Fotomotiv, normalerweise bekommt man dort ja doch nur die üblichen bunten Metallcontainer zu sehen.
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Georg um 16:08 UhrWozu wird den ein solcher Holzcontainer gebraucht. Es gibt doch welche aus Metall die man immer und immer wieder verwenden kann. Eine solche Holzkiste nur einmal. Und falls sie doch öfter verwendet werden kann, wird sie sich doch aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit mit der Zeit zersetzen oder zumindest anschimmeln. Ansonsten ein sehr netter bericht und auch mal was komplett anderes als das was man sonst so von Häfen kennt.
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Foster16 um 09:41 UhrKommentar hinzufügen